"
Schwindel, Gleichgewicht und Orientierungssinn Zeitliche und r?umliche Orientierung erfordern unter den Bedingungen der Schwerkraft ein Zusammenwirken vestibul?rer (Gleichgewichtsrezeptoren, Nervenbahnen, Gehirn), visueller (Auge) und propriozeptiver (Muskeln, Gelenke, Haut und deren Nervenbahnen, die ?ber das R?ckenmark zum Gehirn ziehen) Informationen. Diese werden vom Orientierungssinn realisiert. Die Bewegung des K?rpers (Navigation) setzt intakte Sinneseing?nge (Gleichgewichtsrezeptoren im Gleichgewichtsorgan, 5 auf jeder Seite) und reflektorische Verbindungen (Nervenbahnen, die Informationen weiterleiten, so genannte vestibul?re Reflexe), eine ungest?rte aufrechte Haltung und Bewegung im Raum (Muskeltonus, Steuerung durch Gelenke und Steuerung der Bewegungsabl?ufe, auch posturale Kontrolle) sowie ein stabiles Abbild (Blickstabilisierung) auf der Retina (Augenhindergrund) voraus. St?rungen einer dieser Elemente des Orientierungssinns f?hren zu Schwindel.
?Schwindel? entsteht dann, wenn unser Orientierungssinn widerspr?chliche Informationen liefert. Dann ?ndert sich die Wahrnehmung, der wahrgenommene ?Normalzustand?, und Wohlbefinden geht in ein zeitweiliges oder st?ndiges Unwohlsein ?ber, was als ?Schwindel? interpretiert wird. Urspr?nglich aus dem Althochdeutschen ?swintilon? f?r ?In-Ohnmacht-fallen? oder ?Taumeligkeit versp?ren? hervorgegangen, bedeutet das Wort ?Schwindel? heute im medizinischen wie auch im juristischen Sinne, dass irgendetwas nicht zusammen stimmt. W?hrend andere Sprachen zwischen gerichteten Schwindelsensationen (engl. vertigo, frz. vertige) und unbestimmtem Unwohlsein (engl. dizziness, frz. malaise) unterscheiden, ist das im Deutschen nicht der Fall.
Schwindel, Gleichgewichts- und Gangst?rungen z?hlen zu den h?ufigsten Symptomen ?berhaupt und f?hren zu einer individuell unterschiedlichen Beeintr?chtigung der Lebensqualit?t. Dadurch wird unter anderem die F?higkeit, sich jederzeit unbeschwert und in einer selbst gew?hlten Geschwindigkeit aufrecht im Raum zu bewegen, d.h. das Konzept der Selbstbestimmung des Menschen beeintr?chtigt. Dar?ber hinaus beeintr?chtigen Erkrankungen mit ?Schwindel? die Aus?bung sozialer Kontakte und das Berufsleben.
Die Ursachen ?Schwindel? sind vielf?ltig. Am weitaus h?ufigsten sind sie im Bereich der Gleichgewichtsrezeptoren des Gleichgewichtsorgans (zum Beispiel der gutartige Lagerungsschwindel oder der so genannte Morbus Meni?re) oder deren fortleitenden Nervenbahnen (zum Beispiel Entz?ndungen wie bei der so genannten Neuritis vestibularis, Tumoren wie das Vestibularisschwannom oder ?Akustikusneurinom?). H?ufig sind auch psychische St?rungen, St?rungen im Bereich des Nervensystems, des Herz-Kreislaufsystems, der Augen, Muskeln oder Gelenke. Aber andere Faktoren wie eine Beeintr?chtigung des H?rverm?gens sowie Medikamente k?nnen eine Rolle spielen.
Schwindel und Gleichgewichtsst?rungen sind unspezifische Symptome. Im Rahmen der Befragung durch den Arzt (Anamnese) lassen sich daher die beklagten Beschwerden nur selten einer speziellen Ursache zuordnen. Aus diesem Grund ist es erforderlich, spezielle Untersuchungen vorzunehmen (Diagnostik). Gerade im Bereich der Diagnostik von Schwindel konnten in den letzten Jahren entscheidende Fortschritte erzielt werden, so dass man heute in der Lage ist, die Funktion aller 5 Gleichgewichtsrezeptoren auf jeder Seite genau zu ?messen?.
Zervikale (Bild oben) und okul?re (Bild unten) vestibul?r evozierte myogene Potenziale ?messen? die Funktion der so genannten Otolithenorgane. Die Otolithenorgane bestehen aus dem Sakkulus und dem Utrikulus und sind auf beiden Seiten wichtige Bstandteilde des Gleichgesichtsorgans. Sie sind sehr klein (1-2 Quadratmillimeter). Auf den Sinneszellen der Otolithenirgane sitzen die so genannten Otokonien. Bei Beschleunigungsreizen wird die Tr?gheit der Otokonien genutzt, um die Sinneszellen zu reizen. So erh?lt das Gehirn unter anderem Informationen ?ber Signale und kann lineare Beschleunigungsreize, Stand und Vertikaleindruck bewerten. St?rungen f?hren zu ?Schwindel?, der sich subjektiv unterschiedlich ?u?ern kann. St?rungen k?nnen bei unterschiedlichen Erkrankungen auftreten, wenn die Otolithenorgane in die erkrankung einbezogen sind (benigner paroxysmaler Lageurngsschiwndel Morbus Meniere, Neuritis vestibularis).
Die VEMP-Untersuchungen werden mit relativ lauten Tonreizen durchgef?hrt. Dabei wird die Entdeckung ausgenutzt, dass in den Otolithenorgane auch akustisch sensitive Nervenfasern zu finden sind. Das ist entwicklungsgeschichtlich bedingt.
Das VEMP-Ergebnis erh?lt man innerhalb von wenigen Sekunden. Heute leitet man VEMP-Potenziale auch bei unterschiedlichen Frequenzen ab, da man festgestellt hat, dass bei vielen Erkrankungen frequenzspezifische L?sionen bestehen.
Mit der Entwicklung von Videosystemen und -brillen, die eine hohe Abtastrate aufweisen ist heute eine Beurteilung des zeitlichen Ablaufs der Kopf-Augen-Bewegung m?glich. Mit dem Videokopfimpultest l?sst sich die Funktion aller 3 Bogeng?nge auf jeder Seite des Gleichgewichtsorgans pr?fen. Beim Videokopfimpulstest werden Kopf- und reflektorische Augenbewegung mit einer Zeitauflosung im Millisekundenbereich objektiviert und damit quantitativ beurteilt. Anhand des Zeitverlaufes der Kopf-Augenbewegung lassen sich St?rungen sehr genau feststellen. Anders als bei der so genannten thermischen Pr?fung mit Wasser muss bei diesem test nicht am Ohr manipuliert werden. Bei der Untersuchung steht der Arzt hinter dem sitzenden Patienten, der ein gegen?berliegendes, nahes stationares Blickziel in einer Entfernung von etwa 1 m fixieren sollte. Der Kopf wird einige Male in verschiedenen Richtungen, die exakt den Arbeitsebenen der Bogeng?nge der Gleichgewichtsorgane entsprechen, impulsartig bewegt.
?ber den Bildschirm des Computers kann man die ergebnisse jeder bewegung online verfolgen.
Ist die Ursache von Schwindel und Gleichgewichtsst?rungen gefunden, kann eine Therapie erfolgen. Viele Erkrankungen des Gleichgewichtsorgans k?nnen heute gut und dauerhaft behandelt werden. Dazu z?hlen der gutartige Lagerungsschwindel, der Morbus Meni?re und die so genannte Neuritis vestibularis. Physiotherapeutische, chirurgische, medikament?se und psychotherapeutische Methoden haben sich in den letzten Jahren weiterentwickelt.